Die 7 Grundsätze der Achtsamkeit #2 Geduld
Die 7 Grundsätze der Achtsamkeit – #2 Geduld
„Die feindseligen Wesen sind so weit wie der Raum. Sie zu bezwingen, wird nicht gelingen. Diesen einen eignen Geist voller Wut und Ärger besiegt zu haben, ist, als hätte ich alle Feinde geschlagen.” Shantideva
Geduld
Die alten buddhistischen Texte definieren Geduld, für uns einigermaßen überraschend, als Gegenteil des Zorns. (Geduld wird als Ertragen von Schwierigkeiten und als eine der kraftvollsten geistigen Übungen – eine der sechs Vollkommenheiten auf dem Weg der Erleuchtung – betrachtet.)
Für uns ist das Gegenteil von Geduld meistens Ungeduld, und als Gegenteil des alten Worts „Zorn“ gilt „Sanftmut“. „Zorn“ klingt verstaubt und nach Altem Testament. (Das Wort ist seit dem 9. Jahrhundert belegt.) Zorn kann zu unkontrollierten Handlungen oder Worten führen und erscheint deswegen als Beherrscher desjenigen Menschen, der seinen Gefühlsregungen unterworfen ist.
Wenige Menschen würden heute von sich behaupten, zornig zu sein. Aber bei genauem Hinsehen ist es häufig Zorn, was wir „Ungeduld“ nennen. Ungeduld ist das, was Kinder vor ihrem Geburtstag, Weihnachten oder Ostern empfinden. Als Erwachsene sehnen wir ungeduldig das Wiedersehen mit geliebten Menschen herbei oder freuen uns auf das Wochenende. Diese Ungeduld ist freudig gespannt.
„Die Erwartung erklimmt schon Berge, während die Realität noch fummelt, ihre Socken anzuziehen.“ – Michael White
Zorn
Wenn dagegen die U-Bahn zu spät kommt, die Warteschlange vor dem Geldautomaten endlos scheint, oder der potenzielle Kunde einfach nicht zurückruft, sagen wir zwar, wir seien ‚ungeduldig‘. Aber eigentlich sind wir zornig – zornig auf die U-Bahn, auf die Warteschlange und den potenziellen Kunden. Dahinter steckt die unausgesprochene Forderung, jede Situation müsste genau so sein, wie wir sie haben wollen: pünktliche Züge, schönes Wetter am Wochenende, Geldautomaten ohne eine Menschenseele weit und breit. Das würde Ihnen gefallen? Dann setzen Sie es doch durch. Sie brauchen dazu lediglich drei Dinge: Allmacht, Allwissen und Allgegenwart. Fertig. Sollte Ihnen eines der drei Attribute fehlen, ist die Forderung einigermaßen unsinnig, weil es zwar schön wäre, Umwelt, Mitmenschen oder Dinge verhielten sich so, wie wir wollten, sie tun es aber eben nicht. Deswegen ist Zorn auch ein schlechter Ratgeber. Wenn wir wider besseres Wissen zornig auf ein öffentliches Verkehrsmittel werden, fühlen wir uns obendrein noch hilflos – eine ganz schlechte Mischung. Die Situation verändert sich nicht, und wir kochen weiter vor Wut bis sie entweder ‚verraucht‘, oder – schlimmer – wir sie an jemandem auslassen: einem Mitarbeiter, dem Hund, einem Papierkorb oder, zu Hause angekommen, an einem Familienmitglied. Aggressionsverschiebung nennt man so eine Handlung gegen „Ersatzobjekte“. Sie zählt zu den psychischen Abwehrmechanismen gegen aggressive Impulse.
Geduld bedeutet, Schwierigkeiten akzeptieren können
Geduld bedeutet, in schwierigen Situationen innere Ruhe und Ausgeglichenheit zu bewahren. Geduld hat immer etwas damit zu tun, sich mit dem Hier und
Jetzt abzufinden, ohne Zorn, dass Dinge nicht sind, wie wir sie gerne hätten, bloß, weil wir sie gerne so hätten. Das frustriert und macht unausgeglichen.
Exkurs: gerechter Zorn
Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass es Kritik an genau dieser Akzeptanz gibt, die ihr vorwirft, gefügig selbst dann zu sein, wenn gesellschaftliches oder individuelles Unrecht geschieht. Die Vertreter dieser Kritik weisen zu Recht auf den unbequemen Gedanken hin, dass es in einer ungerechten Welt unmöglich sei, gerecht zu sein. Die Position der Psychotherapie entspricht deswegen auch nicht der buddhistischen Forderung nach Geduld gegenüber Leiden und Schädigern. Sie unterscheidet den Zorn, als irrationale, selbstschädigende Reaktion, vom berechtigten Ärger über Zurücksetzung, Ungerechtigkeit oder Fehlverhalten. Dieser Ärger stammt nicht aus einer absoluten Forderung, sondern aus einem Wunsch nach Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit oder richtigem Verhalten der Mitmenschen, der aber akzeptiert, dass es sich auch anders ergeben kann und daran nicht verzweifelt.
Geduld bedeutet, sich nicht in die Zukunft wünschen
Geduld träumt sich nicht aus einer unangenehmen Situation heraus. Uns quälen Gedanken an die Zukunft, oder es belasten uns Erinnerungen. Dabei können wir die Zukunft nicht kennen, und die Vergangenheit nicht mehr ändern. Natürlich heißt das nicht, dass wir keine Träume haben und Pläne machen sollen. Aber wer sich in eine Zukunft träumt, in der alles perfekt und so ist, wie es sein soll, nimmt das „Jetzt“ schon gar nicht mehr richtig wahr. Es ist ein großer Fehler, den wir mit Ungeduld begehen. Wir nehmen Erwartungen als erfüllt vorweg, obwohl wir, bei bester Anstrengung und heftigstem Wünschen, nicht wissen können, was kommen wird. Und wir verpassen damit vieles , während wir auf etwas warten, dass vielleicht ganz anders oder gar nicht eintrifft. Im schlimmsten Fall warten wir dann nur noch auf das nächste Desaster und bleiben sicherheitshalber in Alarmstellung, oder wir sind ganz gelähmt von der Furcht vor Fehlschlägen. Deshalb ist es so wichtig, sich auf das zu besinnen, was uns gerade beschäftigt und wie wir am besten damit umgehen.
Geduld bedeutet, Entwicklungen Zeit geben
„Alles hat seine bestimmte Stunde, jedes Ding unter dem Himmel hat seine Zeit.“ – Prediger 3:1
Manche Dinge brauchen ihre Zeit – Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Es gibt passende und unpassende Zeiten für bestimmte Dinge oder
Vorhaben, es gibt gute und schlechte Zeiten. Und nicht immer können wir über diese Zeit bestimmen. Die Zeit ist ein Geschenk: Sie ist der Rahmen, in dem wir kleine Vorhaben oder unser ganzes Leben gestalten. Zeit ist auch eine Herausforderung an unsere Geduld: wir müssen unsere durch die Zeit bestimmten Grenzen erkennen und annehmen. Sonst laufen wir Gefahr, an der Unbeugsamkeit der physikalischen Zeit zu verzweifeln, ohne sie ändern zu können. Geduld bedeutet, dass wir uns bewusst machen, dass bestimmt Probleme auftreten werden, wenn wir uns für etwas einsetzen. Aber wir können überzeugt sein, dass wir mit Anstrengung selbst dann etwas schaffen, wenn die erhoffte positive Wirkung ausbleibt. Der einzige hundertprozentig verlorene Kampf ist der, den wir nicht antreten. Während der Achtsamkeitsübungen etwa können Schwierigkeiten auftreten wie Verständnisprobleme oder Trägheit. Bringen wir dann Tatkraft und Freude in uns hervor und denken an den langfristigen Nutzen von Achtsamkeit, stärken wir unsere Geduld.
Geduld erfordert Übung
Hinterfragen Sie, welche Alltagssituationen Sie wirklich ungeduldig und welche Sie eigentlich zornig machen. Am besten ist es, die letzteren zu notieren. Gibt es auch Situationen, in denen Sie nervös werden müssten, es aber nicht sind? Was läuft in diesen Situationen anders ab? Vielleicht ist ja direkt ein Muster erkennbar, mit dem man arbeiten kann. Ein weiterer Nutzen dieser Liste ist außerdem, dass bei geduldiger Meisterung Situationen nach und nach weggestrichen werden können. Dann löst sich die Liste im Idealfall irgendwann auf.
Körperübungen
Auch der Körper kann eine Stütze und ein hilfreiches Instrument für mehr Geduld sein. Bei Achtsamkeitsmeditation oder Taijiquan beispielsweise muss der Körper lange in einer Position verharren und Bewegungen werden extrem langsam ausgeführt. Auch bei rhythmischen Bewegungen wie beim Joggen kommen Gedanken zur Ruhe, behalten aber dennoch genug Fokus.
Superpower Selbstgespräche
Auf dem iPhone herumzuknöpfeln, macht noch keine Geduld. Für kurze Wartezeiten ist es sicherlich eine gute Zwischenlösung. Auf Dauer aber und für besonders lange Phasen, die Geduld erfordern, reicht Ablenkung nicht aus. Wenn in uns ist immer noch irgendetwas ist, dass sich gegen diese Situation stemmt und sich weigert, Untätigkeit hinzunehmen, helfen weder ein fesselnder Newsfeed, noch 83 süße Katzenbilder. Hier kommt der Begriff der inneren Ruhe zum Tragen. Das ist keine Esotherik. Für Geduld ist innere Ruhe das A und O. Menschen, die über innere Ruhe verfügen, haben Erfahrungen, Erfolge und Fehlschläge wie wir alle. Aber sie können sich von ihren Erfahrungen emotional distanzieren, und bei Bedarf in einem rationalen Kontext analysieren, um den Kern für Unausgeglichenheit zu finden. Es kann dabei helfen, sich selbst gut zuzureden. Studien zeigen, dass es hilft sich in Gedanken und Selbstgesprächen mit „du“ oder „wir“ anzusprechen, statt mich „ich“. Auch gedanklich in der dritten Person von sich zu sprechen, ist für manche Menschen hilfreich. Duzt man sich selbst, ist es so als würde man mit einem guten Freund sprechen. Fehler werden einerseits nachweislich objektiver beurteilt, andererseits geht man automatisch wohlwollender mit sich um und neigt zu einer positiveren Einstellung.
Loslassen können
Ein Projekt will und will nicht so funktionieren. Je länger wir versuchen, es in den Griff zu bekommen, um so zorniger werden wir. Wir hatten uns den Erfolg schon ausgemalt, und jetzt steht das alles auf der Kippe. Dann heißt es: einen Schritt zurück, und bereits geleistete Arbeit aufzugeben, oder „schlechtem“ Geld kein „gutes“ hinterher zu werfen. Das ist unangenehm, aber nicht das Ende der Welt.
Aber nicht nur bei Projekten im Beruf, auch in Beziehungen macht uns das Loslassen von bestimmten Vorstellungen gelassener. Dauerhaft erwarten wir von Menschen bestimmte Reaktionen. „Das darf doch nicht wahr sein!“, „Was fällt der ein!“, „Sowas macht der doch sonst nicht?“ Damit stellen wir ständig Ansprüche an unsere Mitmenschen und werden unzufrieden, wenn sie nicht so reagieren, wie wir uns erwartet haben. Von solchen absoluten Forderungen lassen wir besser die Finger, gerade bei Menschen, die uns am Herzen liegen. Sie sind für die Mitmenschen nicht gut, und für uns selbst auch nicht.
Einen Schritt zurück zu machen, gibt uns die Chance, das Gesamtbild zu betrachten, Zwischenziele neu zu stecken und Fehler zu korrigieren. Es gibt immer mehr als eine Erklärung für das Verhalten von Mitmenschen und mehr als nur einen einzigen Weg zum Ziel. Wenn man überhaupt nicht weiterweiß, ist es immerhin besser, einfach Dinge auf sich zukommen lassen, statt verzweifelt aufzugeben. Den Ausgleich zwischen Kontrolle, Geduld und Gelassenheit findet, je nach Temperament, jeder für sich selbst.
Wer Geduld hat, lebt in der Gegenwart und kann den gegenwärtigen Augenblick wahrnehmen. Eine Ewigkeit hat Platz in einem einzigen Moment.
Im nächsten Blogbeitrag geht es weiter mit #3 Den Geist des Anfängers bewahren.
Quelle:
Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation – Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR.
Chögyam Trungpa: Erziehung des Herzens. Buddhistisches Geistestraining als Weg zu Liebe und Mitgefühl
Sam Harris: Waking Up: A Guide to Spirituality without Religion (2015)