Die 7 Grundsätze der Achtsamkeit #7 Loslassen
Die 7 Grundsätze der Achtsamkeit – #7 Loslassen
- Die 7 Grundsätze der Achtsamkeit – #7 Loslassen
- Loslassen – Epiktet
- Loslassen – Das ABC-Modell nach Albert Ellis
- ABC steht für:
- Activating event – eine reale innere oder äußere Wahrnehmung
- Beliefs System – Beurteilungen, Werturteile und Deutungen
- Consequences – Verhalten und Gefühle
- Beispiel
- Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, der ein Bild aufhängen wollte? Hier kann man ebenfalls sehr schön das ABC-Modell in Aktion sehen:
- Loslassen – Die gedankliche Neubewertung
- Ellis hat, für die Bearbeitung von Gefühlen, dem ABC-Modell noch die Schritte D und E hinzugefügt:
- Loslassen – Die Angstspirale
- Loslassen – Raus aus der Spirale
- Loslassen – Achtsamkeit
- Loslassen – 3 Fragen
- 1. Könnte ich es loslassen?
- 2. Würde ich es loslassen?
- 3. Wann?
„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“ -Epiktet-
Loslassen – Epiktet
Gerade in Zeiten der Coronavirus-Pandemie sind Sorgen und Ängste ständige Begleiter für viele von uns. Wir wären sie zu gern los, haben aber das Gefühl, sie haben uns fest im Griff. Dabei ist es in Wirklichkeit anders herum – wir sind es, die nicht loslassen.
Nach dem römischen Denker Epiktet können wir, wenn wir etwas außerhalb unserer Macht Liegendes begehren oder zu vermeiden suchen, nicht dauerhaft glücklich werden. Wir vergessen dann, dass Besitz und sozialer Status, Gesundheit und der menschliche Körper, Heimat und Verwandtschaft lediglich zufällig sind, sich wandeln und eingebüßt werden können, ohne dass wir selbst Einfluss nehmen können. Zugleich machen wir uns von äußeren Dingen und anderen Menschen abhängig, verlieren unsere innere Freiheit und schaden damit uns selbst.
Glücklich wird dagegen, nach den Vorstellungen des Philosophen, wer nach dieser Unterscheidung sein Wollen und Handeln auf diejenigen Bereiche beschränkt, die allein seinem Einfluss unterliegen. Er werde dann nicht versuchen, dem Tod, der Armut, der Krankheit, den Gesetzen der Natur oder den Plänen Gottes zu entgehen, sondern nur das meiden, was seiner Seele schade. Ereignisse, die er nicht beeinflussen kann, werde er in Gelassenheit und Zurückhaltung über sich ergehen lassen und sie als Gegebenheiten akzeptieren. In letzter Konsequenz werde ein Mensch, der diesen Grundsatz verinnerlicht hat, nicht verlangen, dass alles so geschehe, wie er es will, sondern sich wünschen, dass alles so geschehe, wie es ohnehin geschieht. Dadurch werde er sein Glück erreichen.
Loslassen – Das ABC-Modell nach Albert Ellis
Albert Ellis postulierte Mitte des letzten Jahrhunderts, dass die Abfolge:
Ereignis ⇒ Gefühl
einen äußerst wichtigen Zwischenschritt vernachlässigt:
Ereignis ⇒ Beurteilung ⇒ Gefühl
Demnach sind es nicht Dinge, Personen oder Ereignisse, die bestimmen, was wir fühlen, sondern vielmehr das, was wir darüber denken
Diese Gesetzmäßigkeit beschrieb er im ABC-Modell.
ABC steht für:
Activating event – eine reale innere oder äußere Wahrnehmung
Unser Gehirn erhält über unsere Sinneswahrnehmung zahlreiche „Rohdaten. Auf der Basis früherer Erfahrungen und „Filtereinstellungen“ gelangt ein Teil dieser Daten in das Bewusstsein – der weitaus größte Teil der Rohdaten wird ausgefiltert.
Beliefs System – Beurteilungen, Werturteile und Deutungen
Unser Gehirn interpretiert die bewussten Informationen und gibt ihnen eine Bedeutung. Deutung und Mustererkennung sind wichtige Leistungen des Gehirns, allerdings verlassen wir dabei den Bereich der Wahrnehmung und betreten das Reich des Denkens, denn wir können Situationen auf sehr verschiedene Weise „übersetzen“.
Consequences – Verhalten und Gefühle
Die Bewertung des ursprünglichen Ereignisses, die wir, basierend auf unseren Annahmen und Interpretationen, formulieren, hat emotionalen Reaktionen und Handlungen aber auch zu Wahrnehmungsfokussierungen zur Folge.
Würde ein Ereignis direkt ein Gefühl hervorrufen, müssten alle in einer bestimmten Situation gleich fühlen, und man könnte wenig daran ändern. Die Gefühle verschiedener Menschen in ein und derselben Situation sind aber durchaus recht unterschiedlich, je nachdem, was sie über die Situation denken. Zwischen Ereignis und Gefühl findet eine Bewertung statt, und damit gibt es einen wirksamen Ansatzpunkt zur Veränderung unserer Gefühle – wir können unser Denken verändern.
Beispiel
Ein Mensch, verunsichert durch die Medien, mag den ABC-Ablauf bei Schnupfen folgendermaßen durchlaufen:
A: Wahrnehmung: Leicht verstopfte Nase beim Aufwachen
B: Interpretation: Das ist bestimmt das Coronavirus, ich habe das gestern erst bei Facebook gelesen, bestimmt ist das der Beginn von COVID-19 ... Oh Gott, ich bekomme ein Lungenentzündung...
C: Emotion/Verhalten: Angst zu Sterben, Sorge wegen der drohenden Quarantäne usw. Fokus auf das Symptom, Unbedingt etwas unternehmen müssen, nichts unternehmen können, Zweifel an der Diagnose....
Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, der ein Bild aufhängen wollte? Hier kann man ebenfalls sehr schön das ABC-Modell in Aktion sehen:
‹‹Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüber zu gehen und ihn aus zu borgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgetäuscht und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie ihren Hammer“.›› – Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklich sein. –
„Dass die Vögel der Sorge und des Kummers über deinem Haupte fliegen, kannst du nicht ändern. Aber dass sie Nester in deinem Haar bauen, das kannst du verhindern.“ – Chinesisches Sprichwort –
Loslassen – Die gedankliche Neubewertung
Wenn wir wissen, dass es auf unsere Gedanken ankommt, haben wir schon die wichtigste Voraussetzung geschaffen, Gefühle, die uns schädigen, loszulassen. Es geht dabei nicht etwa darum, keine Gefühle zu haben, sondern darum, zu verstehen, dass wir erstens nicht unsere Gefühle sind, Gefühle tauchen in unserem Bewusstsein auf, als Folge unserer Gedanken. Gesunde Gefühle, zu denen nicht nur Freude oder Glück zählen, sondern auch berechtigter Ärger oder Vorsicht in bestimmten Situationen, müssen wir nicht loswerden. Gefühle und Gedanken sind ohnehin nicht von Dauer in unserem Bewusstsein. Aber wir können ungesunde Gefühle wie Wut, lähmende Angst oder Hass loslassen.
Ellis hat, für die Bearbeitung von Gefühlen, dem ABC-Modell noch die Schritte D und E hinzugefügt:
Dispute – Hinterfragen und ggf. Widerlegung irrationaler Annahmen und Bewertungen
Effect – Erarbeitung rationaler Alternativen der gedanklichen Bewertung mit neuen, positiven Auswirkungen auf Erleben und Verhalten.
(Die Erweiterung der ABC-Analyse wird heute als kognitive Umstrukturierung bezeichnet und bildet die Grundlage der von ihm entwickelten Rational Emotiven Kognitiven Verhaltenstherapie.)
Auch in der Narrativen Therapie geht es um Loslassen von Erzählmustern über uns selbst und unsere Umwelt, die uns in eine Sackgasse führen. Wir suchen bewusst nach anderen Erinnerungen, Erzählungen und Menschen in unserem Leben, die es immer gibt. Sie sind nur vielfach von den vorherrschenden Themen in unserem Leben verschüttet. Nach dem Loslassen steht dann die Arbeit mit unterschiedlichen Methoden an diesen Erzählungen und den handelnden Personen an.
Loslassen – Die Angstspirale
Wie oben beschrieben, neigt Angst zur selbstverstärkenden Schleife: etwas geschieht, wir bewerten es als „etwas Schlimmes“ – wir bekommen Angst, Schweiß bricht aus, wir atmen schneller, unser Herz klopft – wir müssen etwas unternehmen, sonst passiert eine Katastrophe – wir merken, wir können gar nichts tun
– Schwitzen, Herzklopfen und hastiger Atem nehmen zu … mit jedem Durchlauf verstärken sich Angst und Hilflosigkeit. Die Schlussfolgerungen, Emotionen und Handlungen führen zu immer engerem Tunnelblick auf das angstauslösende Ereignis. Die Wahrnehmungsfilter sind nun verändert, das Gehirn sucht nach Beweisen für die aufgestellten Annahmen, die Schlussfolgerungen und Meinungen verfestigen sich. Das kann sich zu einer sehr ungünstigen emotionalen Aufwärtspirale entwickeln, bis hin zur Panikattacke. Bei Depression, Platzangst, Hypochondrie oder Verfolgungswahn, finden sich solche Spiralen. Aber auch Selbstzweifel oder Eifersucht laufen in solchen Kreisen ab.
Loslassen – Raus aus der Spirale
In allen diesen Fällen gilt als erstes: Loslassen und wieder einen klaren Gedanken fassen.
- Prüfen Sie Annahmen und Schlussfolgerungen und suchen Sie bewusst nach Wahrnehmungen und Informationen, die der bisherigen Deutung widersprechen. Was könnte „A“ noch bedeuten?
- Müssen Sie wirklich sofort etwas unternehmen. Was passiert wirklich, wenn Sie nichts tun?
- Welche Glaubenssätze kommen gerade zum Tragen, woher stammen sie? Sind sie ganz sicher wahr?
- Sind Ihre Annahmen plausibel?
- Nützen sie Ihnen in der derzeitigen Situation?
- Würden andere Bewertungen zu anderen Konsequenzen führen?
Das alles kann man natürlich nicht in einer Panikattacke ausprobieren, sondern muss es, sozusagen in „Friedenszeiten“ gründlich erlernen und systematisch einüben.
Loslassen – Achtsamkeit
„Loslassen“ ist der siebente Grundsatz der Achtsamkeit bei Jon Kabat-Zinn. Achtsamkeit macht uns negative Gedanken, Überzeugungen und Gefühle bewusst. Mit dem Bewusstsein und den Einsichten können wir sie dann loslassen.
Fast unsere gesamte wache Zeit verbringen damit, Dinge zu begehren, zu erwerben, zu erfassen und daran festzuhalten. Wir weigern uns, sie wieder loszulassen. Das gleiche gilt für Empfindungen, Gesellschaft anderer Menschen, Träume, Wünsche oder unser Selbstbild. Tatsächlich fällt es den meisten Menschen äußerst schwer, Gefühle und Überzeugungen loszulassen. Wir identifizieren uns mit unseren Gefühlen und Überzeugungen. Wir denken, wir sind unsere Gefühle und Überzeugungen. Daher kämpfen und ringen wir darum, diese Gefühle und Überzeugungen zu bewahren, um unser Ich zu bewahren, unabhängig davon, ob sie für uns nützlich oder schädlich sind.
Wenn wir uns negativer Gedanken und Gefühle, die sich oft in unserem Unterbewusstsein verbergen, durch Achtsamkeit bewusst werden, können wir uns entscheiden, sie loszulassen. Achtsamkeit und Loslassen gehen Hand in Hand.
Loslassen – 3 Fragen
Eine andere Methode, unerwünschte Gefühle loszulassen, besteht darin, uns tatsächlich zu erlauben, die negativen Gefühle zu fühlen, und uns dann drei wichtige Fragen zu stellen:
1. Könnte ich es loslassen?
Die Antwort auf die erste Frage lautet immer „Ja“. Wir können immer alles loslassen, auch langjährige und wichtige Überzeugungen und Wertvorstellungen. (Die Coronaviruspandemie führt uns das gerade vor Augen.)
2. Würde ich es loslassen?
Die zweite Frage ist persönlicher. „Würde ich es loslassen?“ fragt ja im Grunde danach, ob wir uns die Erlaubnis zum Loslassen geben. Bei grundsätzlichen Überzeugungen kann es eine Weile dauern, bis diese Frage mit „Ja“ beantwortet wird. Das ist vollkommen in Ordnung. Man kann diesen Schritt nicht beschleunigen. Nehmen Sie sich also Zeit und seien Sie ehrlich mit sich selbst. Sie müssen sich selbst (und sonst niemanden) überzeugen. Erst wenn Sie bereit und wirklich willens sind, sagen Sie „Ja“ dazu. Manchmal müssen wir erst vergeben können oder selbst Verzeihung erfahren, um mit Erinnerungen abzuschließen und loslassen können.
3. Wann?
Die letzte Frage: „Wann?“ gibt uns einen Zeitrahmen. Die beste Zeit ist natürlich „JETZT“, aber dies hängt wiederum davon ab, ob wir mental und emotional bereit sind, loszulassen. Es ist vollkommen in Ordnung, eine Zeit zu wählen, die für uns am besten geeignet ist.
Wenn wir auf eine achtsame Art loslassen und ehrlich „Ja“ dazu sagen können, wenn wir also das Loslassen bewusst gestalten und uns all dem stellen, was es mit uns macht, dann wächst unsere Freiheit gerade durch das Loslassen.
Quelle:
Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation – Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR.
Chögyam Trungpa: Erziehung des Herzens. Buddhistisches Geistestraining als Weg zu Liebe und Mitgefühl
Sam Harris: Waking Up: A Guide to Spirituality without Religion (2015)
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