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Religion und Kindheitstrauma 06: Zweifel und Glauben

Zweifel – kritische Kraft oder Ketzerei?

Einleitung

In der Serie „Religion und Kindheitstrauma“ haben wir bisher untersucht, wie tief religiöse Überzeugungen und Praktiken in die frühe Entwicklung und das psychologische Wohlbefinden von Kindern eingreifen. Bisher ging es um:

  1. Glauben und Angst
  2. Schuld und Sühne
  3. Scham und das Heilige
  4. Autorität und Autonomie
  5. Einschluss und Ausschluss

Zweifel kann als Zustand der Ungewissheit oder der mangelnden Überzeugung in Bezug auf eine Aussage oder eine Situation verstanden werden. Er beinhaltet die Infragestellung der Wahrheit oder Gültigkeit von etwas. Zweifel ist ein grundlegender Aspekt des menschlichen Bewusstseins und Denkens, der mit der menschlichen Fähigkeit verbunden ist, Grenzen zu überschreiten. Der menschlichen Existenz wohnt eine unhintergehbare Ungewissheit inne. Sie ist die Quelle der anhaltenden Natur des Zweifels in der Geschichte.

Zweifel ermutigt, Überzeugungen zu hinterfragen, nach Beweisen für Behauptungen zu suchen und die Möglichkeit anzuerkennen, dass man sich irren kann. Dieser Prozess des Hinterfragens und der Ungewissheit fördert einen aufgeschlossenen Umgang mit Wissen und ermöglicht kontinuierliches Lernen und Wachstum.

Im Umgang mit religiösen Überzeugungen und Dogmen nennt Bertrand Russell Zweifel eine notwendige intellektuelle Haltung. Er kritisiert die Unterdrückung des Zweifels zugunsten eines blinden Glaubens und weist auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn die Wahrheit zugunsten der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Normen ignoriert wird. Er ermutigt zu Skepsis und kritischem Denken bei der Annäherung an religiöse und philosophische Fragen.

1. Zweifel und Gewissheit

Einst träumte Zhuangzi, dass er ein Schmetterling geworden sei, der beschwingt umherflatterte. Er hatte Freude an sich und folgte allen seinen Regungen.

Dabei wusste er nicht, dass er Zhuangzi war. Plötzlich wurde er wach. Da war er Zhuangzi – ganz eindeutig. Woher weiß man nun, ob es Zhuangzi war, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling geworden, oder ob es ein Schmetterling war, der geträumt hat, er sei Zhuangzi geworden?

Dieses daoistische Gleichnis aus dem China des 4. Jahrhunderts v. Chr. stellt heraus, dass wir letztlich keine Gewissheit haben können, ob Zhuangzi vielleicht doch ein Schmetterling ist. Daran schließt sich unmittelbar die Frage an, wann überhaupt eine Aussage Wirklichkeit adäquat beschreiben kann. Zweifel ist wesentlich für die Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit. Er veranlasst uns, Gewissheiten zu hinterfragen und verhindert, Wahrnehmungen der Wirklichkeit blindlings zu akzeptieren.

2. Zweifel und Wissbegierde

Der Zweifel gehört zum Prozess des Denkens. Denken muss in diesem Sinne sogar selbstzerstörerisch sein, weil es zuvor gewonnene Erkenntnisse ständig neu bewertet und infrage stellt. Zweifel treibt das Streben nach Wissen und Verständnis an.

3. Zweifel und menschliches Dasein

Auch die eben beschriebene Fähigkeit des menschlichen Geistes, an der Realität der eigenen Existenz zu zweifeln, ist ein Ergebnis der Denktätigkeit. Während das Denken verschiedene Aspekte der Wirklichkeit leicht erfassen kann, bleibt die Wahrhaftigkeit der eigenen Existenz schwer greifbar.

4. Zweifel und Glaube

Der Zweifel dient als Gegengewicht zum unhinterfragten Glauben, insbesondere in dogmatischen religiösen Kontexten. Unterdrückung von Zweifeln in religiösen Kontexten mündet in blindem Gehorsam und Dogmatismus.

  1. Hannah Arendt und Das Leben des Geistes

In verschiedenen philosophischen Traditionen und kulturellen Überzeugungen wird der Zweifel nicht nur als Unsicherheit oder Unglaube angesehen, sondern als wichtiges Instrument für tieferes Verständnis und spirituelles Wachstum. Er fordert den Einzelnen auf, kritisch zu denken, ständig zu hinterfragen und zu einer tieferen, persönlichen Überzeugung zu gelangen.

In „Das Leben des Geistes“ stellt Hannah Arendt den Zweifel als ein komplexes Phänomen dar, das die Gewissheit des eigenen Bewusstseins infrage stellt. Blaise Pascals wehrte sich gegen René Descartes‘ Idee: „Ich denke, also bin ich“, weil sie Selbstbewusstsein einfach zur Garantie jeder Gewissheit macht. Pascal dagegen betonte die Möglichkeit des Zweifels, selbst die grundlegendsten Annahmen über die Realität zu untergraben.

Sie untersucht darum auch die Rolle des Zweifels im religiösen Glauben und betont die Bedeutung des erworbenen Glaubens und die Grenzen der Vernunft beim Nachweis oder der Widerlegung religiöser Wahrheiten. Zwischen Wissen und Meinung besteht eine Kluft, die nicht einfach durch Argumente überbrückt werden kann. Praxis stützt sich auf Meinungen und Überzeugungen, die, trotz erfolgreicher Anwendbarkeit, nicht unbedingt wahrheitsgetreu sein müssen.

In der Antike etwa war das Mittelmeer Herzstück der Seefahrt und ermöglichte den Austausch zwischen den Zivilisationen des Nahen Ostens, Nordafrikas und Europas. Wichtige Seerouten verbanden Ägypten, Griechenland, das Römische Reich und die Phönizier. Das Schwarze Meer erlaubte griechischen und später römischen Händler Zugang zu Skythien. Über den Hafen von Alexandria und andere Häfen an der Küste des Roten Meeres konnten Waren nach Indien und zurück transportiert werden. Obwohl weniger gut dokumentiert, gibt es Hinweise darauf, dass die Phönizier, und möglicherweise auch andere antike Seefahrer, entlang der Küsten Europas und bis nach Westafrika segelten. Außerdem verbanden Routen über den Indischen Ozean das Rote Meer und die afrikanische Ostküste mit dem indischen Subkontinent und Südostasien. Diese Routen waren auch für die Verbreitung von Kulturen, Sprachen und technologischen Innovationen überaus erfolgreich.

Dieser Praxis standen in der Antike verschiedene theoretische Vorstellungen von der Form der Erde gegenüber. In vielen frühen Kulturen wurde angenommen, dass die Erde eine Scheibe sei, die auf Ozeanen schwimme oder von diesen umgeben sei, etwa bei den Mesopotamiern, Ägyptern und in einigen frühen griechischen Quellen. Erst im 6. Jahrhundert v. Chr. begannen einige griechische Philosophen wie Pythagoras und später Plato und Aristoteles die Idee zu vertreten, dass die Erde kugelförmig sei. Trotzdem waren Aristoteles und nachfolgende Gelehrte wie Ptolemäus fest davon überzeugt, dass die Erde im Zentrum des Universums stehen müsse. Nach ihm sollten Himmelskörper (Sterne, Planeten, die Sonne und der Mond) an durchsichtige, feststehende Sphären gebunden sein, die sich um die Erde drehten. Jeder Himmelskörper besäße seine eigene Sphäre. Die Fixsterne befänden sich auf der äußersten Sphäre und drehten sich als Ganzes um die Erde. Diese Sphäre drehe sich täglich einmal um ihre Achse, was den täglichen Auf- und Untergang der Sterne erkläre.

Zweifel deckt die unvermeidlichen Grenzen von Meinungen und die subjektive Natur des praktischen Denkens auf und ebenso, dass nicht gleichzeitig Gewissheit und objektive Wahrheit erreicht werden können. Zweifel verlangt darum Urteile. Das Urteilen, als höchste geistige Tätigkeit, bringt aber keine eigentliche Erkenntnis hervor. Ein derartiger Anspruch auf Erkenntnis von Wahrheit des Urteilens wäre irreführend. So ist etwa politisches Urteilen nicht einfach mit politischem Wissen oder Weisheit gleichzusetzen. Arendt betont, dass im Zweifel das Urteilen Sinn stiftet und den Menschen in einer Welt verankert, die ohne menschliches Urteilen gar keine menschliche Bedeutung haben kann. Urteile beantworten Fragen des Zweifels, die allein durch Wissen oder praktischen Willen nicht gelöst werden können. Urteilen ist darum das zentrale Element im Denken und Wollen des Menschen, um existenzielle Fragen zu adressieren und Lösungen für ausweglose Situationen zu finden.

Im Zweifel ist das Urteilen also nicht nur eine theoretische menschliche Fähigkeit, sondern vielmehr ein Ausweg aus einer Sackgasse oder Lösung eines Problems. Urteilen ist dazu aber angewiesen auf erworbenen Glauben und Anerkennung der Grenzen der Vernunft. Urteilen ist eine von der Vernunft und dem Willen getrennte geistige Aktivität. Die Befreiung des Urteilsvermögens erfordert die Ausübung des Denkvermögens. Zweifel bereitet dem Urteilen den Weg zur Bewältigung von Unsicherheit und zur Suche nach einer Quelle der Zufriedenheit in einer Welt, die echtes Handeln und Freiheit einschränkt. Nur wer sich auf Zweifeln und Urteilen einlässt, kann sich mit den Ungewissheiten des praktischen Denkens und den Grenzen der objektiven Wahrheit auseinandersetzen, Situationen kritisch beurteilen und trotz der Zwänge der äußeren Umstände ein Gefühl der Erfüllung finden. Diese Fähigkeit zur Urteilsbildung ermöglicht die Überwindung von Beschränkungen der äußeren Bedingungen und ein Gefühl der Zufriedenheit und Handlungsfähigkeit in einer komplexen und oft unvorhersehbaren Welt.

Zweifel stellt also Gewissheiten infrage, auch ritualisierte oder oberflächliche Glaubensformen, und gestattet so ein authentischeres und persönlicheres Glaubensverständnis. In Bezug auf den Glauben erlaubt das Urteilen im Zweifel praktische ethische und moralische Entscheidungen, die auf religiösen Überzeugungen basieren. Gläubige müssen Handlungen und Überzeugungen sogar anzweifeln, um urteilen zu können, wie sie ihre Glaubensprinzipien in konkreten Situationen anwenden wollen. Wie Arendt die Praxis als auf Meinungen und Überzeugungen basierend beschreibt, die nicht notwendigerweise wahr sein müssen, so ist auch der Glaube eine praktische Grundlage für das Leben, die Handeln und Ethik formt, auch wenn sie nicht objektiv beweisbar ist. Der Glaube bietet eine Richtschnur, wie man leben soll, ähnlich wie Arendts Auffassung von Meinungen, die das Handeln anleiten.

Viele religiöse Wahrheiten entziehen sich einer vollständigen theoretischen Erklärung und verlangen nach einer praktischen Glaubensüberzeugung, die über das durch Vernunft Erkennbare hinausgeht. Sie öffnen einen Raum für den Glauben als Antwort auf die Grenzen der menschlichen Vernunft. Arendt sieht in der Fähigkeit zu handeln eine zentrale Komponente der menschlichen Freiheit. Religiöser Glaube kann als mögliche Quelle der Freiheit betrachtet werden, weil er befähigt, gemäß eigenen Überzeugungen zu handeln und so aktiv Umstände und Welt zu gestalten. Ein derartiger religiöser Glauben verliert sich nicht in Dogmatik, sondern ist aktiv, reflektiert und engagiert. Seine dynamischen, persönlichen und praktischen Aspekte führen über tiefgründiges Denken und Zweifel zu einem bedeutungsvollen und handlungsorientierten Glauben.

3. Martin Luther und sein Glauben

Beispiele zeigen, dass Zweifel in verschiedenen Religionen auf unterschiedliche Weise historisch und kulturell betrachtet und diskutiert werden, sowohl von prominenten theologischen Figuren als auch in religiösen Interpretationen und Praktiken.

Ein berühmtes Beispiel der christlichen Religion ist die Glaubenskrise des Reformators Martin Luther während seiner Zeit auf der Feste Coburg, 1530. Diese Krise wurde durch verschiedene Faktoren ausgelöst, darunter die schwierige persönliche Situation, in der er sich nach den Ereignissen in Augsburg befand. Auf dem dortigen Reichstag, im Sommer 1530, hatte Kaiser Karl V. zur Darlegung der alt- und neugläubigen Auffassungen eingeladen. In der sogenannten Augsburger Konfession wurde darum die erste offizielle Darstellung von Lehre und Praxis der Reformation vorgelegt. Es gelang den Anhängern der Reformation aber nicht, die Glaubenspraxis der deutschen Gebiete insgesamt zu verändern.

Es war außerdem eine Zeit erheblicher Unruhen innerhalb der katholischen Kirche, die von Korruption, Exzessen und Missbrauch wie dem Ablasshandel geprägt war. Diese Praktiken beunruhigten Luther zutiefst. Seine Erziehung in einem streng religiösen Umfeld und sein akademisches Theologiestudium, seine Auseinandersetzung mit der humanistischen Wissenschaft, die kulturellen und intellektuellen Strömungen der Renaissance und die theologischen Debatten seiner Zeit prallten in seinem Denken und Glauben aufeinander und stürzten ihn in tiefe Zweifel. In den traditionellen kirchlichen Praktiken fand Luther dabei keine spirituelle Erleichterung. Seine Glaubenskrise führte letztlich zur Reformation und zur Spaltung der westkirchlichen Welt. Er brach mit der römisch-katholischen Kirche und forderte grundlegende Änderungen in der christlichen Lehre und Praxis.

Die traditionelle katholische Kirche stellte die Autorität der Kirche, ihre Tradition und das Gewicht der guten Werke neben die Heiligen Schrift. Luther erklärte hingegen die Rechtfertigung des Glaubens allein durch die Autorität der Bibel. Dieser Glaube richtet sich auf das Unglaubliche der Menschwerdung Gottes und der Auferstehung. Die Botschaft der Heiligen Schrift fordere nicht etwa Gehorsam gegenüber dem Gesetz und verdienstliche Werken, sondern allein den Glauben. Nur er steht im Zentrum der biblischen Heilsbotschaft. Luther beharrte darum darauf, dass allein die Bibel die letzte Autorität in Glaubensfragen sein sollte und stellte damit die katholische Lehre radikal infrage. Nach seiner Auffassung kann der Einzelne allein durch seinen Glauben an Gottes Gnade Erlösung finden, ohne dass dazu zusätzlich gute Werke erforderlich seien. Die daraus resultierende Ablehnung des Ablasses für die Erlösung führte zu einer besonders scharfen Trennung zwischen protestantischen und katholischen Überzeugungen und veränderten das religiöse, soziale und politische Gefüge Europas.

4. Zweifel im Kindheitstrauma durch Religion

In einem dogmatischen oder sehr restriktiven religiösen Umfeld führt die unnachgiebige Forderung, Regeln und Normen strikt einzuhalten, zu tiefer Beschämung, wenn Kinder erleben, dass es ihnen unmöglich ist, dieser Forderung nachzukommen. Diese Beschämung schädigt individuelle Identitätsentwicklung und Autonomie des Kindes verursacht innere Konflikte, Schuldgefühle und eingeschränkter Selbstakzeptanz.

Besonders in der Kindheit spielt der Zweifel eine wichtige Rolle in der religiösen Einbindung, eben wegen internalisierter Schuld und Scham, die von solchen starren religiösen Lehren ausgelöst werden, wenn Kinder Fragen stellen. Solchen Kindern wird beigebracht, dass sie sich mit Zweifeln an ihrem Glauben versündigen und damit untilgbare Schuld auf sich laden. Die Kirchenväter nannten Zweifel Lauheit im Glauben –eine Todsünde – und erklärten Bosheit, Auflehnung, Groll, Kleinmütigkeit, Verzweiflung, stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber den Geboten und Vorschriften, und die „Schweifung des Geistes in Richtung des Unerlaubten“ zu ihren Töchtern (bemerkenswerterweise nicht: Söhnen).

Kinder, die mit dem Glauben aufwachsen, dass ihre Gedanken, Gefühle, Sehnsüchte und Bedürfnisse sündhaft oder schändlich sind, verinnerlichen diese Überzeugungen und entwickeln ein negatives Selbstbild, das Selbstvertrauen, Selbstliebe und Selbstakzeptanz beschädigt. Sie sehen sich selbst als fehlerhaft oder schlecht an. Glaubensinhalte, -praktiken und -gemeinschaften verankern derartige Glaubenssätze und Kernüberzeugungen im Unterbewusstsein von Kindern. Solche Kernüberzeugungen entstehen bereits in den ersten Lebensjahren und prägen die Gehirnstruktur des Kindes: Gemäß der intersubjektiven Theorie führen nämlich wiederkehrende Transaktionsmuster im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung zur Ausbildung von Organisationsmustern des Gehirns, die die unbewussten Beziehungen zu anderen Menschen prägen und die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen. Diese Muster dürfen kindliche Zweifel, Bedürfnisse und Gefühle nicht als defekt oder inakzeptabel deklarieren und Kinder lebenslang in einen Teufelskreis aus Scham, Selbstverachtung und weiterer Scham stürzen. Weil Kinder keinerlei Zweifel an dem Verhalten ihrer Bezugspersonen hegen können, geben sich notwendig selbst Schuld für Ablehnung von ihren Eltern und verinnerlichen negative Überzeugungen über sich selbst, verbunden mit einem Gefühl, nicht wichtig zu sein oder liebenswert zu sein. Diese tief verwurzelten Kernüberzeugungen nehmen Kindern zusätzlich jeden Mut, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu artikulieren, da sie glauben, für das Wohlergehen ihrer Eltern oder ihrer Gemeinschaft verantwortlich zu sein.

Die Folge ist eine innere Zerrissenheit im Widerstreit zwischen dem eigenen Wohl und den Erwartungen und Bedürfnissen der Umgebung. Wenn Kinder gezwungen sind, sich Glaubensinhalten und -praktiken ihrer Gemeinschaft bedingungslos anzupassen, kann bei ihnen aber kein Zweifel an diesen Lehren und Praktiken aufkommen. Stattdessen zweifeln sie an der eigenen Identität und Autonomie. Die Unterdrückung von Zweifeln und die Internalisierung von dogmatischen Glaubenssätzen münden in einem Zustand der inneren Verwirrung und Selbstverleugnung, in dem Kinder sich lebenslang hilflos und moralisch schwach fühlen, so wie es Luther noch im Alter von 47 Jahren ergangen ist. Aus heutiger Sicht könnte man seine Glaubenskrise darum durchaus als Religionstrauma ansehen.

Eine Gemeinschaft, die Autorität missbraucht, sodass sich Kinder ungeliebt oder abgelehnt fühlen, beschädigt deren Verhältnis zum Selbst und zu anderen. Kinder erfahren, dass „Sünden“ hart bestraft werden und sie darum bestimmte Aspekte ihrer selbst verleugnen müssen, um „rein“ zu sein. So kann sich kein Kind lernen, sich selbst akzeptieren, eigene Bedürfnisse wahrnehmen und zu äußern.

Kinder brauchen für eine gesunde Entwicklung liebevolle Spiegelung durch Betreuungspersonen, Stärkung beim Aufbau eines stabilen Selbstwertgefühls, und sie müssen Anerkennung ihrer kindlichen Bedürfnisse erfahren. Nur eine Umgebung, die Raum für Ehrlichkeit, Offenheit und Selbstakzeptanz bietet, erlaubt Kindern, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten, ohne Schuldgefühle oder Selbstverleugnung. Sie müssen ihre eigenen Überzeugungen anzweifeln dürfen, um ihre individuelle Identität entwickeln zu können. Andernfalls führen Glaubensinhalte, -praktiken und -gemeinschaften in der Kindheit zu lebenslangen psychischen Verwerfungen

Zusammenfassung

Dieser Post untersucht die komplexen Beziehungen zwischen religiösem Glauben, Zweifel und kindlicher psychologischer Entwicklung.

Zweifel ist ein natürlicher und wesentlicher Bestandteil menschlichen Bewusstseins und Denkens, der uns dazu anregt, Überzeugungen zu hinterfragen und Offenheit für neues Wissen und Lernen zu fördern. Dieser Prozess ist entscheidend für die psychologische Reife und Selbstentdeckung.

Der Umgang mit religiösem Zweifel variiert stark zwischen verschiedenen Kulturen und Glaubenssystemen. Während einige Traditionen den Zweifel als Mittel zur Vertiefung des Glaubens sehen, betrachten andere ihn als Bedrohung für die spirituelle Ordnung. Der Post beleuchtet, wie dieser Umgang die psychologische Entwicklung, besonders in der Kindheit, beeinflusst.

In streng dogmatischen religiösen Umgebungen führt die Unterdrückung von Zweifeln zu psychologischen Konflikten. Kinder, die in solchen Umgebungen aufwachsen, erleben innere Konflikte, Schuldgefühle und eine eingeschränkte Selbstakzeptanz und lernen, dass ihre Fragen und natürlichen Unsicherheiten verächtlich oder sogar sündhaft sind.

Der Post zieht Beispiele aus verschiedenen philosophischen Traditionen heran, wie die von Zhuangzi und Hannah Arendt, um zu zeigen, wie der Zweifel als kritische Kraft fungiert, die sowohl die Selbstwahrnehmung als auch die Auseinandersetzung mit externen Autoritäten prägt.

Zweifel hinterfragt Gewissheiten. Glaubensinhalte sind kein objektives Wissen, sondern praktische Überzeugungen infolge eines Urteils. Ein lebendiger Glauben muss darum – nicht nur Kindern – Raum für persönliches Hinterfragen und kritisches Denken, als Grundlagen eines uneingeschränkten Urteilsvermögens, bieten.

Das Entscheidungsfeld dieses Urteilsvermögens ist offen. Theologen wie Dietrich Bonhoeffer und Gerhard Ebeling haben den Zweifel als kritische Kraft des Glaubens gegenüber religiösen Festlegungen und Gewissheiten betrachtet, während sie gleichzeitig Religion als Lebensbedingung des Glaubens ansahen. Russells Position engagiert sich ebenso für kritisches Denken und intellektuelle Integrität, weist aber einen rein glaubensbasierten Anspruch auf Vertrauen und Akzeptanz ohne rationale Rechtfertigung zurück.

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