Backen, Backzutaten, Schüssel, Stolle

Schnee und Macis

Stollen Backen

Der erste Advent  kommt für mich nie überraschend. Aber in diesem Jahr erscheint das alte Stollnrezept auf meinem Laptopbildschirm. Die traditionellen Pfefferkuchen hatte ich schon vor Jahren übernommen – der Honigteig ist schwer zu kneten, und man kann sie gut transportieren, ohne Bruchgefahr. Aber der Stollen war anders. Der Stollen war der Stolz der Familie, das Rezept, das Generationen bewahrt hatten, auch wenn während der Weltkriege schwer an die Zutaten ranzukommen war – wenn überhaupt.

Ohnehin ist Stollenbacken ein Abenteuer. Man bäckt Stollen ja nur einmal im Jahr. Ofenrot, breitgelaufen, schliff gebacken – egal. Besser als jeder gekaufte Stollen ist er allemal.

Erinnerungen

Meine Erinnerungen an die Stollenbäcker im Advent, sind voller Wunder. Damals wurden, für meine Begriffe, zahllose Stollen gebacken, für Zuhause und zum Verschicken an die übrige Familie. Am Backtag, um den ersten Advent, kamen die Zutaten, mit den Stollenbrettern, auf einen Leiterwagen, der, meist nach Einbruch der Dunkelheit, durch verschneite Vorortstraßen der Stadt, zu einem anderen Vorort gezogen wurde. Unter den erleuchteten Fenstern stapften wir ungefähr eine Stunde durch den Schnee.

Die Stollen wurden, mit den Zutaten der Leute und ihrem Rezept, vom Bäcker gebacken. In meiner Kindheitserinnerung schütten im Lampenlicht der großen, höllenheißen Backstube riesige Gesellen in weißer Hose und Unterhemd die Zutaten in eine Knetmaschine, andere schoben geformte Stollen mit langen hölzernen Brotschiebern in die Glut des halbrunden Rachen eines ebenso riesigen Backofens und schlossen eine schwarze metallene Ofentür mit einem Riegel hinter ihnen, oder holten braun gebackene Stollen aus anderen Öfen heraus, balancierten sie auf die bereitliegenden Stollenbretter und riefen den Namen des Auftrags aus. Über allem laute Zurufe der Bäcker. An den Wänden gab es Bänke für die, die auf ihre Stollen warteten. Nach Abgabe der Zutaten, kam die lange Zeit des Wartens. Ich wurde in den Hof geschickt, um zu spielen. Schnee, alte Ackergeräte, zahllose finstere Türen, gelbliche Lampen wetteifernd mit dem Mondlicht auf dem Schnee. Von Zeit zu Zeit sah ich in das Backstubenfenster und sah den hünenhaften Bäckern kurz zu. Zu guter Letzt wurden die Stollen auf Brettern in demselben Leiterwagen denselben Weg durch die Winternacht nach Hause gezogen. Schwer vorstellbar, dass tatsächlich Nacht gewesen sein soll, aber in meiner Erinnerung war es tiefe Nacht – Schnee knirschend unter den Stiefeln und sonst alle Geräusche gedämpft unter den unablässig fallenden Flocken. Die Bretter kamen in die alte Küche unter dem Dach und wurden fingerdick mit zerlassener Butter, Puderzucker und Kristallzucker bedeckt, aus dem eine himmlische Kruste entsteht. Einfach nur mit Puderzucker bestäuben, wie heute beim Bäcker, war nicht. Dann musste man warten, bis zu Weihnachten der Stollen angeschnitten werden durften, und die Pfefferkuchen im Steinguttopf weich geworden waren. Inzwischen wurden Plätzchen gebacken und zum Glück gleich gegessen.

Die Zahl der Stollen nahm immer weiter ab. Längst bäckt kein Bäcker mehr mit den Zutaten der Kunden, die in der Backstube warten. Der eigene Backofen muss reichen.

Es geht nicht nur um ein Familienrezept, sondern um Erinnerungen: Jeder erste Advent ist ein Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Küche duftet immer noch gleich, aber die Hände, die die Arbeit verrichten, sind andere. Ich habe gelernt, dass manche Traditionen überleben können, auch wenn die Erinnerungen an sie verblassen. Und, wo nicht, muss man mit der Veränderung leben. Also nun ans Backen …

An alle, die Familientraditionen am Leben erhalten. Die Bewahrung von Erinnerungen ist wichtig. Frohe Adventszeit.

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