Unspezifisches Umweltsyndrom Definition
Unspezifisches Umweltsyndrom – Definition
- Unspezifisches Umweltsyndrom – Definition
- Unspezifisches Umweltsyndrom – ICD10
- Unspezifisches Umweltsyndrom – Häufigkeit
- Unspezifisches Umweltsyndrom – angeschuldigte Chemikalien:
- Unspezifisches Umweltsyndrom – Entstehung
- Biologische Modelle:
- Psychologische Modelle:
- Unspezifisches Umweltsyndrom – Krankheitsbild
- Im Zentralnervensystem entstehen:
- Dazu kommen Reizsymptome der Schleimhäute:
- Auch Verdauungsbeschwerden sind möglich:
- Unspezifisches Umweltsyndrom – Abklärung
- Unspezifisches Umweltsyndrom – Behandlung
Somatisierungssyndrome in der Umweltmedizin umfassen:
1. Die Idiopathic Environmental Intolerance IEI = erworbene Störungen mit zahlreichen und wiederkehrenden Beschwerden im Zusammenhang mit vielfältigen Umwelteinflüssen, die von der Mehrzahl der Bevölkerung gut vertragen werden. Die Beschwerden sind nicht durch eine bekannte medizinische oder psychiatrische/psychologische Störung erklärbar.
2. Das Sick Building Syndrome SBS = erworbene Störung mit Störungen mit zahlreichen und wiederkehrenden Beschwerden einer Gruppe von Personen, die sich alle im gleichen Raum oder Gebäude befinden, mit Besserung nach Verlassen dieser Räume.
(Das SBS muss von der Building Related Illness BRI unterschieden werden, bei der konkrete auslösende Substanzen, zum Beispiel Asbest, nachweisbar sind.)
Beide Definitionen ersetzen den älteren Begriff der Multiple Chemical Sensitivity MCS. MCS wird nicht einheitlich als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt.
Synonyme: Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom (MCS-Syndrom), multiple Chemikaliensensitivität, multiple Chemikalienunverträglichkeit, multiple Chemikalienüberempfindlichkeit, vielfache Chemikaliensensitivität, chemische Mehrfachempfindlichkeit, Idiopathic Environmental Intolerances (IEI), idiopathische umweltbezogene Unverträglichkeiten, idiopathische Umwelt-Unverträglichkeit, idiopathische Chemikaliensensitivität, Umweltkrankheit, Ökosyndrom
Unspezifisches Umweltsyndrom – ICD10
F45.9 nicht näher bezeichnet
(abzugrenzen gegenüber T78.4 Allergie, nicht näher bezeichnet)
Unspezifisches Umweltsyndrom – Häufigkeit
Die Häufigkeit wird in der der Allgemeinbevölkerung mit 2 bis 10 % angegeben (10 bis 20 % in umweltmedizinischen Ambulanzen).
Unspezifisches Umweltsyndrom – angeschuldigte Chemikalien: |
Amalgam 44% |
Holzschutzmittel 20% |
Lösungsmittel 2% |
Schwermetalle 2% |
Unspezifisches Umweltsyndrom – Entstehung
Die unspezifischen Umweltsyndrome sind nicht vollständig durch die Einwirkung von chemischen Stoffen erklärbar. Daher hat sich ein umfassender Erklärungsansatz (bio-psycho-soziales Modell) durchgesetzt.
Biologische Modelle:
Zu den biologischen Krankheitsprozessen zählen
- Ein durch Giftwirkung bedingter Toleranzverlust gegenüber Umweltchemikalien in niedriger Dosierung
- Klassische Konditionierung: Stresssymptome werden auf Umweltfaktoren im Niedrigdosisbereich zurückgeführt, ggf. auch nach einmaliger Einwirkung einer hohen Dosis
- Psychoneuroimmunologische Einflüsse
- Entzündungsmechanismen im Nervengewebe
- Fehlsteuerung der Empfindlichkeit von Nervenzellen (Sensitivierung: Zunahme der Stärke einer Reaktion des gesamten Organismus bei wiederholter Darbietung desselben Reizes und Kindling: Zunahme der Antwortintensität auf eher seltene und schwache Stimulation von Gehirnarealen)
- Symptome können auf einer nicht diagnostizierten körperlichen oder psychiatrischen Krankheit beruhen (z. B. Depression, Angststörung, Somatisierungsstörung, Porphyrie).
Psychologische Modelle:
Folgende beteiligte psychische Prozesse wurden bei Unspezifischen Umweltsyndromen ermittelt:
- Einfache Stressreaktion
- Anpassungsstörungen
- Paranoides Syndrom
Dazu kommt ein Mechanismus, bei dem Körperbeschwerden als Ausdruck psychischer Belastung entstehen, die der Betroffene aber auf äußere Umweltfaktoren bezieht. Die Ursache sind Störung in der Steuerung, Wahrnehmung und im Ausdruck von Gefühlen.
Unspezifisches Umweltsyndrom – Krankheitsbild
Die Beschwerden werden ausgelöst durch zahlreiche unterschiedliche, chemisch nicht verwandte Stoffe. Die auslösenden Konzentrationen verursachen in der Allgemeinbevölkerung keinerlei schädliche oder belästigende Wirkung festgestellt. Sowohl die Zahl der reaktionsauslösenden Substanzen als auch die Vielfalt der erlebten Symptome nehmen im Krankheitsverlauf zu. Der Verlauf ist bei der Hälfte der Betroffenen chronisch.
Im Zentralnervensystem entstehen:
- Kopfschmerzen
- Müdigkeit
- Schwäche
- Störungen der Merkfähigkeit und Konzentration
- Schlafstörungen
- Schwindel
- Ohnmacht
Dazu kommen Reizsymptome der Schleimhäute:
- Der Augen (Augenbrennen)
- Des Mund-Rachen-Raums (Naselaufen)
- Der Atemwege (Reizhusten)
Auch Verdauungsbeschwerden sind möglich:
- Völlegefühl
- Blähungen
- Durchfälle
- Bauchkrämpfe
Bei 66 % der von einem unspezifischen Umweltsyndrom Betroffenen tauchen andere psychische Erkankungen auf:
Somatoforme Störungen | 53 % |
Depressionen | 14 % |
Persönlichkeitsstörungen | 12 % |
Hypochondrie | 8 % |
Angststörungen | 6 % |
Wahnhafte Störungen | 5 % |
Unspezifisches Umweltsyndrom – Abklärung
Da eine Vielzahl von Umweltbelastungen ausgeschlossen werden müssen, benötigt die Abklärung vielfältiges Expertenwissen, u. A. aus den Bereichen:
- Umweltmedizin
- Toxikologie
- Hygiene, Arbeits- und Sozialmedizin
- Innere Medizin
- Neurologie
- HNO
- Dermatologie
- Psychosomatik
Unspezifisches Umweltsyndrom – Behandlung
Bei der Komplexität des Krankheitsgeschehens, das im Vollbild zu anhaltender Arbeitsunfähigkeit führen kann, erfolgt die Behandlung in Zusammenarbeit mit der Umweltambulanz. Gegenwärtig gibt es keine wissenschaftlich begründeten körpermedizinischen Therapiekonzepte für das unspezifische Umweltsyndrom. Diese Unsicherheit liefert den Nährboden für ungesicherte Auffassungen, in denen sich Patienten und ihre Ansprechpartner (Ärzte, Heilpraktiker, „Umwelttoxikologen“, „klinische Ökologen“) gegenseitig in ihren Ängsten und Ursachenkonzepten bestätigen. Über die Akzeptanz entscheidet dann, inwieweit der Ratgeber das Krankheitskonzept des Betroffenen bestätitigt. Um so wichtiger ist es, die Betroffenen mit ihrem Beschwerdebild nicht alleine zu lassen. Dabei ist von Anfang an ein ausführliches respektvolles Eingehen auf die Vorstellungen von den Beschwerden des Einzelnen und auf Besonderheiten seiner Persönlichkeit und individuelle Anfälligkeit erforderlich. Neben der Informationsvermittlung zum Unspezifischen Umweltsyndrom kommen Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie und der Psychodynamischen Therapie zum Einsatz:
- Entspannungsübungen
- Soziales Kompetenztraining
- Reizexposition
- Gruppentherapie zur Bewältigung psychischer Probleme
- Interaktionsgruppen zu Umweltproblematik
Psychotherapeutische Ansätze werden jedoch von den meisten Betroffenen als unzulässige „Psychiatrisierung“ empfunden und daher abgelehnt.
Die Standardempfehlung der „Vermeidung von Umweltgiften“ ist andererseits außerordentlich schwierig. Die Erfolgsaussichten des Versuchs, alle nur denkbarerweise chemisch belasteten Stoffe und Teile aus der Wohnung zu entfernen, sind bestenfalls als zweifelhaft einzuschätzen. Die Sinnhaftigkeit der Maßnahme wird zudem durch den Umstand in Frage gestellt, dass die Beschwerden ja definitionsgemäß gerade bei Konzentrationen von Stoffen auftreten, die bei gesunden Menschen keinerlei Beschwerden verursachen, und dass bei IEI/SBS eben kein eindeutiger Auslöser gefunden wird. Die Beseitigung von Amalgamfüllungen beseitigt die Beschwerden eines unspezifischen Umweltsyndroms daher – erwartungsgemäß – selten und vollständig.
Daneben wird eine Unzahl von Nahrungsergänzungsmitteln und pflanzlichen Medikamenten empfohlen, meist in der Absicht, „Antioxidantien“ bereit zu stellen
- Glutathion,
- Vitamine B12, C, D, E, Riboflavin, Folsäure
- α-Liponsäure
- Coenzym Q10
- Omega-3-Fettsäuren
- Curcumin
- Johanniskraut
In der Praxis muss der betreuende Arzt einen Kompromiss zwischen der gebotenen Zurückhaltung gegenüber wissenschaftlich nicht belegten Therapieformen und der Offenheit für Neues finden.
Quellen:
Nasterlack, Michael; Kraus, Thomas; Wrbitzky, Renate: Multiple Chemical Sensitivity: Eine Darstellung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes aus arbeitsmedizinischer und umweltmedizinischer Sicht Dtsch Arztebl 2002; 99(38): A-2474 / B-2116 / C-1981