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Was sind Stärken – und was nicht?

 

Warum tun wir uns schwer, unsere Stärken beim Namen zu nennen?

Unsere Kultur bringt aus ihrer Geschichte ein „Schuldmuster“ mit. Verfehlungen, Unterlassungen, Versäumnisse – alle werden einem Schuldigen zur Last gelegt, der dafür“ büßen“ muss. Innerlich ist das unbewusste Strafgericht der Schuld gegen Schwächen mit heftigen Gefühlen der Peinlichkeit und Furcht verbunden.

Die Freude musste in der Vergangenheit meist bis zur ewigen Seligkeit warten. Und erworben werden musste die Seligkeit durch tugendhaften Lebenswandel, Konsum- und Genussverzicht.

„Alles, was Spaß macht, ist ungesund, unmoralisch oder macht dick.“

Dazu kommen Ausbildung, Beruf und Selbsthilfebücher von kleinauf und ein Leben lang  mit Forderungen daher, nicht zu prahlen, aus Fehlern zu lernen, bescheiden zu sein. Angeberei und Überheblichkeit sind zwar beruflich oft erfolgreich, aber eigentlich nirgends gerne gesehen.

Das hat zur Folge, dass sich viele Menschen äußerst schwertun damit, Aussagen über ihren eigenen Charakter, und besonders Ihre Stärken zu treffen.


Was Stärken sind

Charakterstärken und Tugenden sind Kernmerkmale der menschlichen Daseinsweise. Philosophische und religiöse Denker haben im Laufe der Geschichte verschiedene Tugenden vorgeschlagen, denen ein allgemeingültiger Charakter zugeschrieben wird. In den verschiedenen Denksystemen der Geschichte treten die folgenden Tugenden  immer wieder auf: Weisheit, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Transzendenz.

Charakterstärken sind psychologische Merkmale – Prozesse oder Mechanismen –, die Tugenden definieren. Anders gesagt sind Charakterstärken unterscheidbare Wege, um eine oder mehrere Tugenden auszuüben oder zu entwickeln. Sie stellen einen Teil der Persönlichkeit eines Menschen dar. Es wird angenommen, dass Charakterstärken über verschiedene Situationen und die Zeit hinweg relativ stabil sind. Sie können sich aber infolge von verschiedenen Lebenserfahrungen verändern.

Nachdem sich Psychologie lange Zeit nur mit Störungen und ihrer Behandlung beschäftigt hat, greift die Positive Psychologie die wissenschaftliche Erforschung des optimalen menschlichen Funktionierens auf. Es geht darum, Faktoren und Prozesse zu verstehen und zu fördern, die es Individuen und Gemeinschaften erlauben, ein „gutes Leben“ zu führen. Dabei sind, nach Seligman und Csikszentmihalyi, drei Bereiche von besonderem Interesse:

(1) Positive subjektive Erfahrungen (z.B. Glück, Lebenszufriedenheit),

(2) positive individuelle Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Ehrlichkeit, Tapferkeit) und

(3) Institutionen, die positive Erfahrungen und Persönlichkeitseigenschaften ermöglichen und fördern.

Seligmann und Peterson haben in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Values-In-Action (VIA) Institute zur Messung von Stärken 2004 einen Fragebogen entwickelt. Sie ordnen dabei 24 Stärken sechs verschiedenen Tugenden zu.


Übersicht über Tugenden und Stärken

Diese sechs Tugenden sind die oben bereits genannten: Weisheit und Wissen, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mässigung, Transzendenz.

  1. Weisheit und Wissen: kognitive Stärken, die den Erwerb und den Gebrauch von Wissen beinhalten.

    Kreativität: neue und effektive Wege finden, Dinge zu tun
    Neugier: Interesse an der Umwelt haben
    Urteilsvermögen: Dinge durchdenken und von allen Seiten betrachten
    Liebe zum lernen: neue Techniken erlernen und Wissen aneignen Weisheit: in der Lage sein, guten Rat zu geben

  2. Mut: emotionale Stärken, die mittels der Ausübung von Willensleistung internale und externale Barrieren zur Erreichung eines Zieles überwinden.
    Authentizität: die Wahrheit sagen und sich natürlich geben
    Tapferkeit: sich nicht Bedrohung oder Schmerz beugen, Herausforderungen annehmen
    Ausdauer: beendigen was begonnen wurde
    Enthusiasmus: der Welt mit Begeisterung und Energie begegnen.
  3. Menschlichkeit: interpersonale Stärken, die liebevolle menschliche Interaktionen ermöglichen
    Freundlichkeit: Gefallen tun und gute Taten vollbringen
    Bindungsfähigkeit: menschliche Nähe herstellen können
    Soziale Intelligenz: sich der Motive und Gefühle von sich selbst und anderen bewusst sein
  4. Gerechtigkeit: Stärken, die das Gemeinwesen fördern
    Fairness: alle Menschen nach dem Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit behandeln
    Führungsvermögen: Gruppenaktivitäten organisieren und ermöglichen
    Teamwork: gut als Mitglied eines Teams arbeiten
  5. Mässigung: Stärken, die Exzessen entgegenwirken
    Vergebungsbereitschaft: denen Vergeben die einem Unrecht getan haben Bescheidenheit: das Erreichte für sich sprechen lassen
    Vorsicht: nichts tun oder sagen, was später bereut werden könnte
    Selbstregulation: regulieren was man tut und fühlt
  6. Transzendenz: Stärken, die uns einer höheren Macht näher bringen und Sinn stiften
    Sinn für das Schöne: Schönheit in allen Lebensbereichen schätzen
    Dankbarkeit: sich der guten Dinge bewusst sein und sie zu schätzen wissen
    Hoffnung: das Beste erwarten und daran arbeiten es zu erreichen
    Humor: Lachen und Humor schätzen; die Leute gerne zum Lachen bringen
    Spiritualität: kohärente Überzeugungen über einen höheren Sinn des Lebens haben

Stärken sind also nicht nur das, was wir gut können. Stärken bilden Muster aus Denken, Fühlen und Handeln, die:

  • uns anregen und bei denen wir Zeit und Raum vergessen
  • uns Leistungen und Erfolge ermöglichen, für die wir gelobt werden
  • bei denen wir uns gut fühlen und die zentral für unsere Identität sind.

Weitere mehr oder weniger enge Verwandte von Stärken:

  • Werte 
(was mir wichtig ist)
  • Erfahrungen
 (was ich hinter mir habe)
  • Ziele 
(wo ich hin will)
  • Kompetenzen
 (was ich kann)
  • Ressourcen 
(was mich stärkt)
  • Interessen 
(was mich fasziniert)

Besonders in Teams, aber auch in Beziehungen oder Familien kommt es  nicht nur auf die individuellen Charakterstärken an, sondern darauf, welche Stärken wie stark vertreten sind, und welche fehlen womöglich vollständig fehlen. Wie werden die Tugenden und Stärken  in der konkreten Zusammenarbeit genutzt?

Wo ergeben sich aus dem Zusammenspiel der Stärken (und Schwächen) Themen, die einer Verabredung bedürfen, wenn z.B. die Authentizität bei fast allen Teammitgliedern vorhanden ist und die Kommunikation dadurch stark geprägt wird, es aber zuweilen an Achtsamkeit  oder Respekt für Verletzlichkeit mangelt? Über den Blick auf das Stärkenprofil kann eine konstruktive und achtsame Perspektive auf die Eigenheiten aller Beteiligten entstehen. Dies bietet eine gute Basis, um tragfähige Vereinbarungen zu treffen und  Konzepte der Zusammenarbeit zu entwickeln, die von allen Beteiligten mitgetragen werden können.

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Quellen:

  1. Christian Thiele: Stärken stärken im Job
  2. Seligman, M. E. P. (2002). Authentic Happiness. Using the New Positive Psychology to Realize Your Potential for Lasting Fulfillment. New York, NY: Free Press
  3. https://www.charakterstaerken.org/

    Values in Action Webseite: www.viacharacter.org

    Positive Psychology Center (Universität Pennsylvania): www.authentichappiness.sas.upenn.edu

    European Network for Positive Psychology: www.enpp.eu

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