Zoom Fatigue warum Videoanrufe anstrengend werden können
Zoom Fatigue – warum Videoanrufe anstrengend werden können
- Zoom Fatigue – warum Videoanrufe anstrengend werden können
- Was ist „Zoom Fatigue“?
- Warum bekommen wir Zoom Fatigue?
- 1. Zoom Fatigue: Videokonferenzen für Alles und Jedes
- 2. Zoom Fatigue: technisch bedingte Verzerrungen
- 3. Zoom Fatigue: psychische Gründe
- 4. Zoom Fatigue: Zoom ist anstrengend, weil im Moment alles anstrengend ist.
- Wie bekämpft man die „Zoom Fatigue“?
Was ist „Zoom Fatigue“?
Ein neuer Begriff geistert durch die Medien, vorläufig noch häufiger in den US-amerikanischen: „Zoom Fatigue“. 270.000 Einträge zählte Google per 27.4.2020. Vor dem 15. März 2020 gab es das Thema als Suchbegriff bei Google nicht, seitdem bringen es die USA allein auf bis zu 100 Posts pro Tag. Interessanterweise gibt es in der internationalen Datenbank PubMed medizinischer Fachartikel per 24.4.2020 keinen Eintrag zum Thema im gesamten Bereich der Biomedizin der nationalen medizinischen Bibliothek der Vereinigten Staaten.
Es scheint daher, als wäre der Videokonferenzdienst Zoom, der seit Beginn der Pandemie als soziale Lebensader begann, dann zum Gegenstand von Datenschutz- und Sicherheitsbedenken wurde, in der Wahrnehmung von Journalisten, online und offline, jetzt zum gesundheitlichen Problemaufmacher geworden.
Selbstverständlich geht es dabei aber nicht um den Dienstleister, sondern um die Videokonferenz.
Zoom Fatigue, wörtlich "Zoom-Müdigkeit" beschreibt ein Gefühl von Müdigkeit, Angst oder Sorge bei einem weiteren Videoanruf.
Und der sprichwörtliche mediale Rauch, existiert auch hier nicht ohne „Feuer“. Tatsächlich ermüden uns Videokonferenzen auf andere Art als sonstige Formen der Bildschirmarbeit oder sozialen Interaktion.
Warum bekommen wir Zoom Fatigue?
Es gibt mehrere Gründe, warum Videokonferenzen anstrengend empfunden werden können.
1. Zoom Fatigue: Videokonferenzen für Alles und Jedes
Wenn wir Videokonferenzen nur für Teambesprechungen und Einzelgespräche bei der Arbeit verwendeten, wäre das schon genug. Aber Zoom ist jetzt die Anlaufstelle für virtuelle Happy Hours, Familienveranstaltungen und Religionsausübung, ganz zu schweigen von Online-Kursen für Kinder, Arztterminen und vielleicht einer Therapiesitzung.
Wenn wir sämtliche Aktivitäten unseres Lebens auf denselben Medienkanal übertragen, geht der Kontextbezug verloren, der beispielsweise beim Wechsel vom Büro in die After-Hour-Bar entsteht.
Dadurch sitzen wir, wie angekettet, vor einem Bildschirm ohne Aussicht auf Rettung.
2. Zoom Fatigue: technisch bedingte Verzerrungen
Ein Großteil der menschlichen Kommunikation erfolgt über nonverbale Hinweise, die bei einer Videokonferenz entweder verloren gehen oder verzerrt werden können. Eine Reihe von technischen Eigenheiten entsprechen nicht den gewohnten Erfahrungen aus Interaktionen in Gruppen.
Es gibt oft eine leichte Audioverzögerung sowie Stummtasten-Fehler und Warnhinweise: „Ihre Internetverbindung ist instabil“.
Längerer Augenkontakt mit extrem vergrößertem, also als nah wahrgenommenen Gesicht einer Person erzwingt angeborene unbewusste Reaktionen beim Menschen. Das standardmäßig in der „Sprecheransicht“ verwendete „Big-Face-Bild“ kann unbewusste, sehr alte „Angriff-oder-Flucht“-Reaktionen auslösen.
In realen Begegnungen gibt es eine unbewusste, und vor allem ununterbrochene, Choreographie von Blickbewegungen zwischen zwei oder mehreren Gesprächspartnern, die den Redefluss begleiten. Dabei sehen wir uns nur vorübergehend und selten direkt in die Augen. Wir starren nicht eine Reihe von Gesichtern an, die uns unsererseits ins Gesicht starren.
In der Galerieansicht sehen wir uns hingegen einer Reihe von „sprechenden Köpfen“ gegenüber, die nicht unserer durch Evolution geprägten Wahrnehmungserwartung in Gruppeninteraktionen entspricht: Einer spricht, und jeder kommt an die Reihe und wartet auf eine Antwort. Das machen wir normalerweise nicht. (Besonders bei Videoanrufen mit alten Freunden oder virtuellen Familientreffen fällt die erzwungene Struktur auf und kann zu Störungen führen.)
Bizarrerweise erlaubt das technisch erzwungen gegenseitige Anstarren eigentlich keinen direkten Augenkontakt. Damit der virtuelle Gesprächspartner den Eindruck gewinnt, wir sähen ihm in die Augen, müssen wir in die Kamera sehen. Dadurch gerät aber das Gesichtsbild des Gesprächspartners aus der Blickachse. Daher starren uns die virtuellen Gesichter an, ohne uns richtig „anzusehen“.
Ungewohnt aus realen Begegnungen, sehen wir außerdem auch uns selbst frontal und können uns sozusagen in Echtzeit selbst kritisieren. Wir sind gleichzeitig Subjekt und Objekt. Das verbraucht Energie, insbesondere weil wir, mehr oder weniger bewusst, überwachen, wie engagiert wir wirken.
Wir müssen uns also gleichzeitig auf bis zu 15 Gesichter konzentrieren, und darauf, wie wir selbst während der Konferenz im Bild erscheinen.
Abhängig von der verwendeten Konferenzplattform gewähren Videokonferenzen schließlich Einblicke in unser Zuhause. Das kann soziale Ängste auslösen (ein Problem auch für Kinder in Online-Klassen).
3. Zoom Fatigue: psychische Gründe
Blickkontakt ist aber viel mehr, als nur ein Schlagabtausch von Blicken. Anschauen und Angeschaut-Werden sind Teile der „leiblichen Kommunikation“, eine Art Unterhaltung mit Gesten und Gesichtsausdrücken.
Maurice Merleau-Ponty beschreibt, dass Sehen und Berühren vergleichbare Sinneswahrnehmungen ermöglichen. Indem ich berühre, werde ich berührt und spüre mich selbst. Indem ich sehe, werde ich aber auch – zumindest prinzipiell – von Blicken ergriffen. Ein Blick kann sehr berühren, er kann aber auch Distanz schaffen. Im Blick ist ein unbewusstes Spannungsverhältnis, ein Spiel von Annäherung und Entfernung enthalten.
Sehen verändert uns auch, und zwar nicht nur durch das Gesehene, das wir in uns aufnehmen. Der Blick eines Gegenübers stößt uns aus der unbewussten Ich-Bezogenheit unserer Wahrnehmung: wir sind nicht länger Mittelpunkt der wahrgenommenen Welt.
Außerdem entsteht im Blick auf den Anderen und des Anderen unsere eigene Identität. Lacan hat das Konzept des „Spiegelstadiums“ beschrieben, nach dem wir als Kind aus unserem Spiegelbild eine Vorstellung unserer eigenen Gestalt aufnehmen. Für die erfolgreiche Ausbildung dieses Selbstbildes müssen wir uns gleichzeitig spüren und sind auf die Bestätigung des eigenen Bildes angewiesen: eine Bezugsperson muss die Wahrnehmung benennen, indem sie z.B. sagt: „das ist die Amelie“. Die Identität, die daraus entsteht, ist aber nicht festgefügt. Lebenslauf und ein permanenter Abgleich mit anderen Menschen sorgen dafür, dass wir uns immer wieder verlieren, neu gewinnen, in Frage gestellt werden oder selbst in Frage stellen, je nachdem, wie wir uns selbst und Andere sehen bzw. wie Andere sich selbst und uns sehen.
Schließlich beschreibt die Psychoanalyse den Blick auch als Werkzeug der Macht, Besitzergreifung, der Abwehr und Selbstbehauptung – immer im Wechselspiel der gesamten Interaktion und abhängig von Kontextfaktoren.
Es ist bei solcher Komplexität des unbewussten „Blickerlebens“ nicht verwunderlich, dass uns das im technischen Filter ausgestanzte, verzerrte Anstarren der Videokonferenz ermüdet. In gewisser Weise sind wir in Videokonferenzen „näher dran“, aber wir kommunizieren trotzdem durch einen seltsamen Filter. Es wird anstrengend, über diesen Filter zu den „wirklichen Dingen“ zu gelangen, weil wir nur noch Miniaturbilder unserer Gesichter zur Projektion und Wahrnehmung von Identität zur Verfügung haben.
4. Zoom Fatigue: Zoom ist anstrengend, weil im Moment alles anstrengend ist.
Wir halten Videokonferenzen ab, weil politische Entscheidungen unser Leben auf den Kopf stellen. Das ist an sich schon anstrengend.
Viele von uns sind nur mit Laptop-, Notebook- und Telefonbildschirmen zu Hause eingesperrt. Dabei müssen wir mit unseren sozialen Netzwerken in Verbindung bleiben und uns für unsere beruflichen Aufgaben engagieren. Wir verbringen wahrscheinlich mehr Zeit vor einem Bildschirm – und wahrscheinlich in schmerzhaft ergonomisch falschen Stühlen – als zu jeder anderen Zeit in unserem Leben. Der Hintern wird taub, der Rücken schmerzt, ebenso wie Kopf und Augen: dann verderben uns Stunden, die wir in einer Haltung an Möbeln, die nie für langfristiges Sitzen ausgelegt sind, schmerzhaft die Laune. Und es helfen uns weder ein Pausenraum, noch persönliche Gespräche mit Kollegen oder ein abendlicher Pendelverkehr, in dem wir unsere Berufsrollen dekomprimieren und ablegen konnten, um in unsere sozialen und relationalen Rollen zu schlüpfen.
Zur körperlichen Belastung tritt die emotionale Erschöpfung: die Pandemie kann quälende Angst verursachen. Wir können das Virus noch nicht stoppen, bis sich ein Impfstoff oder eine Behandlung als wirksam erwiesen hat.
Diese Ängste können ungewöhnliche Reaktion auslösen. Vielleicht schnauzen Sie Ihre Partnerin an, wenn sie vorschlägt, mit dem Hund raus zu gehen. Oder vielleicht werden Sie ungeduldig mit Ihrem Kind. Es ist wichtig auf unsere Emotionen zu achten, ebenso wie auf die Art, wie wir sie ausdrücken. Unsere Interaktionen mit Anderen muss bestimmt sein von Aufmerksamkeit für deren Emotionen und von Freundlichkeit.
Eine Grundursache für kollektive Müdigkeit ist das schmerzhafte Bewusstsein, dass das Leben nicht wieder sein wird wie vorher. Jeder Videoanruf ruft uns in Erinnerung, dass wir jemanden, den wir gerne persönlich sehen würden, nicht sehen können. Er ist ein Andenken an eine Welt, die unwiderruflich zerstört ist, ein Symbol für tragische Todesfälle und zunehmend mehr zerstörte Hoffnungen und Träume.
Wie bekämpft man die „Zoom Fatigue“?
Nun lassen sich weder die technischen Grundlagen, noch die Komplexität von Wahrnehmung und Kommunikation beeinflussen. Trotzdem gibt es einige einfache Tricks der „Zoom Fatigue“ aus dem Weg zu gehen.
- Zu allererst: nicht jeder Videoanruf muss tatsächlich ein Videoanruf sein. Denken Sie darüber nach, wie Sie Zoom-Anrufe verwenden. Wahrscheinlich benötigen Sie nicht für Ihre gesamte Arbeit einen Video-Chat.
- Schaffen Sie einen separaten räumlichen Bereich, in dem Sie geschäftliche Videoanrufe und persönliche Videoanrufe entgegennehmen. Das schafft den oben genannten Kontextbezug: das „Home Office“ soll sich anders anfühlen als der „Wohnbereich“, auch wenn es sich um denselben Raum handelt. Das beugt dem Gefühl vor, rund um die Uhr zu arbeiten und schafft eine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit.
- Wenn es Ihnen unangenehm ist, wie Sie vor der Kamera aussehen, passen Sie Ihre Einstellungen an und versuchen Sie verschiedene Beleuchtungen.
- Legen Sie nach Möglichkeit zwischen den Anrufen Pausen ein. Machen Sie zwischen den Besprechungen eine Pause vom Bildschirm und gehen frische Luft schnappen, ein Glas Wasser holen, oder machen Sie ein paar Jumping Jacks oder einen kurzen 10-minütigen flotten Spaziergang – drinnen oder an Ort und Stelle. Überhaupt sind Bewegung und Ernährung wichtig (s. Fact Sheets zum Home Office)
- Verwenden Sie Ihr Telefon und konzentrieren Sie sich darauf, zuzuhören und Notizen mit Papier und Stift zu machen. Manuelle Notizen verbessern Aufmerksamkeit und Lerneffekte, nicht nur im Klassenzimmer. Wenn Sie sich auf das Geschehen konzentrieren und währenddessen lesbare Notizen schreiben, können Sie konzentriert bleiben und behalten besser, was gesagt wird.
- Für einige Meetings reicht es, wenn nur der Sprecher sein Video aktiviert. (Allerdings sollten dann zumindest für ein Teammeeting pro Woche Alle die ganze Zeit mit Videofunktion teilnehmen, um das gemeinsame Gefühl des Zusammenseins zu haben.)
- Wenn Sie als Leiter eines Meetings feststellen, dass ein Teilnehmer geringe Reaktionen zeigt oder ihr Video immer ausschaltet, sprechen Sie ihn oder sie an. Eine große Videokonferenz kann einschüchtern, egal ob beruflich oder privat, und manche Leute sprechen nicht gern in großen Gruppen.
Obwohl niemand sicher ist, wie lange wir dazu ermutigt werden, unsere Arbeit aus der Ferne zu erledigen oder Abstand zu Menschen außerhalb unseres eigenen Haushalts zu halten, oder ob Masken allgegenwärtig werden wie Wasserflaschen und Smartphones, wissen wir, dass wir auf unsere körperliche und geistige Gesundheit achten müssen.
Quellen:
Scott Rosenberg: Why we’re getting Zoom fatigue. AXIOS
https://eu.usatoday.com/story/news/nation/2020/04/23/zoom-fatigue-video-calls-coronavirus-can-make-us-tired-anxious/3010478001/ (27.04.2020)
Ryan W. Miller: What’s ‚Zoom fatigue‘? Here’s why video calls can be so exhausting. USA TODAY
https://eu.usatoday.com/story/news/nation/2020/04/23/zoom-fatigue-video-calls-coronavirus-can-make-us-tired-anxious/3010478001/ (27.04.2020)